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Angst. Eigentlich nur ein Gefühl, aber für die Betroffenen, wie der kalte rostige Stahl einer Fussfessel. Angst und Panikattacken, manchmal mehrmals täglich, wie ein Kampf gegen einen inneren Feind, Dämonen die in uns hausen und uns das Leben zur Hölle machen.
„Welche Hölle tobt in dir?“, fragten schon die alten Griechen mit ihrer Inschrift am Apollon Tempel.
Angsterkrankungen sind oft nicht sehr lebenskonform. Es ist ein unglaublicher Kraftakt, der zusätzlich zum alltäglichen Leben und der Entwicklung zu leisten war. Aber gleich vorneweg, wer ihn annimmt der wird unglaublich durchtrainiert. Wie ein Speer der einem nach vorne treibt. Die andern die so normal daherkommen, bleiben auf der Couch und wir die wir Angsterkrankungen haben oder was auch immer für Phobien, wir kämpfen, wir trainieren und werden fitter, wenn wir das Geschenk erkennen. Schon Frankl erklärte an Krankheiten kann man zu Grunde gehen oder daran wachsen. Mein Opa hatte nur ein Bein, das andere hatte ihm als Kleinkind ein Kutscher abgefahren. Er schaffte es auch so. Er wurde Schneidermeister mit einem eigenen Geschäft. Bei einer Angsterkrankung stößt man oft auf Unverständnis im Bekanntenkreis und sogar in der eigenen Familie. Sie können es nicht verstehen oder möchten es nicht wahrhaben.
Eltern haben vielleicht Schuldgefühle und wollen nicht die Verantwortung übernehmen. Retrospektiv würde ich meine Erziehung als nicht übel bezeichnen. Leider war sie aber auch von seelischem und körperlichem Missbrauch überschattet. Als Kind gab es keine festen Regeln und die Hölle konnte jede Sekunde über einem hereinbrechen. Man wusste nie, wann Mutter mal wieder die Fassung verlieren würde. Wann Zorn sich in schlagender Handlung entlädt. Mal war es dies, dann wieder das. Das unaufgeräumte Kinderzimmer oder ein falscher Satz oder etwas das man überhaupt nicht verstand. Es war wie in einem Lager. Man war seinem Aufseher ausgeliefert. Eigentlich normale Handlungen, die Mutter provozierten bis zum Exzess. Vater flüchtete in Arbeit. Von ihm kam kein Schutz, denn er kam immer erst spät nach Hause.
Aber: Wenn der Arm gebrochen ist, dann soll er wieder heilen, das wie ist zweitrangig. Fünf Jahrzehnte Therapie und die Erfolge sind bescheiden. Aber es gibt sie. Der Arm heilt, langsam. Wie neu wird er nimmer.
Die Angst kommt so plötzlich, wie früher Mutters Hasstyraden. Sie kommt einfach aus heiterem Himmel wie ein Blitzschlag bei strahlendem Sonnenschein – Peng und du bist getroffen –, wie die arme Magd auf dem Feld. Über Angst gibt es sogar Lieder. Es scheint ein großes Thema zu sein. Ein sehr guter Song darüber ist „Still“ von Jupiter Jones oder Angst von Grönemeyer. Menschen die von der Angst dauerhaft befallen sind sieht man das Grauen oft direkt an. Es ist ihnen ist Gesicht geschrieben. Keine Wunder wer da zu Drogen oder anderen Lösungsmitteln greift. Die Dämonen nagen permanent an ihnen. Mein größter Respekt wer trotzdem durchhält.
Mir dagegen fällt es schwer zu differenzieren. Ich habe manchmal das Gefühl, dass meine Psyche an einem Konglomerat von Gebrechen leidet. Mir fällt es schwer die einzelnen Störungen auseinanderzuhalten. Es ist wie eine Melange: Soziale Phobie, Angsterkrankung, HSP, Perfektionismus bloß keine Fehler machen, sonst kommt der Aufseher, Worth-Case-Denken, Depression, Burnout usw. und so fort. Alles gehört irgendwie zusammen und füttert und ergänzt sich gegenseitig. Wie ein großer klebriger Brei, wie heißes Pech, das einem übergeschüttet wurde. Man glaubt auch, andere müssen es doch sehen. Mal Ja, mal pure Einbildung. Ein Lavastrom, der aus dem Inneren hervortritt – heiß und unangenehm – aus der Ferne für manche schön.
Man versucht durch jahrelange Arbeit, Couching, Therapien, clean-living in allen erdenklichen Formen, Foren und Einrichtungen diese oder jene Störung bzw. Phobie loszuwerden und dann kommt irgendwoher so ein Mephisto angerannt und klebt dir was neues an. Wie diese Türen die zugehen und wo anders gehen sie auf, aber es gibt nicht wirklich was gutes dahinter. Ständig leuchtet das GAME OVER Schild. Sie halten nicht wirklich Gewinne bereit. Schopenhauer meinte zum Leben, es sei leiden.
Manchmal ist es auch eine vorgelagerte Furcht, eine Urangst und manche leiden mehr, haben dafür aber auch mehr Lebensqualität, während andere die nicht leiden, vielleicht weil sie nicht spüren oder verdrängen, nur an der Oberfläche rumplanschen.
Meine Angst unterteile ich in Stufen, wie bei einem Seismometer. Ab Stufe 4 wird es für mich ungemütlich. Gebäude stürzen ein und es ist für mich sehr schwierig eine bestimmte Arbeit zu leisten. Ich habe mir zur Angewohnheit gemacht, die bekannte Richterskala zum messen meines Muffensausens auszuwählen. Bei Null ist noch alles „tippitoppi“, aber bei mir ist schon bei Stufe 5 die Endphase erreicht, dann fühlt es sich an wie eine Blockade. Nichts geht mehr - rien ne va plus!
Zwischen mir und der Sache steht die Angst und wenn es losgeht bricht Panik aus, wie bei einem Bankrun. Es fühlt sich dann an wie ein Walk über Teer – zäh und klebrig. Das Herz schlägt am Anschlag wie der Motor eines PS Boliden, kurz vorm Motorschaden. Als würde mein ganzer Körper bei jedem Schritt im Watt versinken und ich muss ihn mühsam immer wieder rausziehen und alle glotzen blöd, weil ich dreckig bin und denken was treibt der da. Mein Limbisches-System ist außer Rand und Band, es lässt sich nicht kontrollieren und ich kann nicht darauf vertrauen und das ist es. Andere können darauf vertrauen, dass sie es schon schaffen, bei mir ist das leider nicht so. Wie zu Anfangs das mit dem Blitz bzw. ein Damokles Schwert das jemand über mir angebracht hat.
Warum ist es so gekommen? Ich weiß es nicht. Braucht es wirklich eine Antwort? Nach vielen Jahrzehnten, sage ich mir: No, mach deinen Frieden und vermeide einfach Situationen wo es kollabieren kann und wenn du solche Situationen nicht vermeiden kannst, dann lass ihnen freien Lauf, denn irgendwann geht dieses Monster wieder, weil es erschöpft ist. Mach einfach dein Ding wie alle anderen auch. Versuch es zumindest!